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Ins Glas geschaut: Craftbier in der Gastronomie – Eine Blase?

Ins Glas geschaut: Craftbier in der Gastronomie – Eine Blase?

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Ich bin ehrlich, ich habe ein wenig Angst! Klingt komisch – ist aber so. Und diese Angst hat ihre Wurzeln in fünf Lokalbesuchen in Wien. Eigentlich keine geplanten Besuche, sondern spontane Treffen mit Freunden oder der typische „Absacker“, den man zum Beispiel nach einem Theaterbesuch noch trinken geht. In den letzten Wochen kam ich so in eben diese fünf Lokale, die normalerweise nicht zu meinen „Stammadressen“ zählen, wenn ich mich in Sachen Bier der Gastronomie ausliefere.

Die-Nase-reingehaengt
Manchmal muss man auch mal seine Nase reinhängen…

Warum jetzt aber Angst? Die Angst beginnt mit dem Bierangebot, welches auch noch nicht wirklich Grund zu eben dieser Angst geben würde, sondern eher Anlass zur Freude sein sollte. Eigene Craftbierkarten stehen da auf einmal auf den Tischen oder finden sich in den Speise- und Getränkekarten. Ausnahmslos gut aufbereitet und fast schon wie Weine mit zumindest meist einem Satz vorgestellt. Na aber „Hallo!“. Der Puls geht vor Freude nach oben, Craftbier scheint in der Gastronomie angekommen zu sein. Hey, etwas für das wir schon lange gekämpft haben und uns alle fünf Finger danach abgeschleckt hätten, wenn wir vor einem Jahr solche Biere auch nur hätten im Laden kaufen können – und jetzt gibt es sie auf der Karte.

Noch immer keine Spur von Angst! Keine Bange, denn schon bald sollte es losgehen. Bier auf der Karte ausgesucht – leicht ist auszumachen welcher der hiesigen Großhändler den Gastronom beliefert – und die Bestellung dem freundlichen Servicepersonal mitgeteilt.
Beispielhaft: „Ein Brewdog – Dead Pony, bitte“
– Stille – Keine Reaktion –
Wiederholung der Bestellung „Brewdog – Dead Pony!“
Nachfrage des Personals: „Was ist das?“
Unverständnis nun auf meiner Seite: „Ein Bier!!!“
Kurze Nachfrage des Personals: „Das haben wir?“
Okay, das Sortiment scheint ja gut bekannt: „Ja, steht hier auf der Karte!“ und Übergabe der Karte mit einem befingerten Hinweis auf die Gegend wo das Bier abgebildet ist.
Meine Bestellung wird nun von der Karte Buchstabe für Buchstabe „abgeschrieben“ und mit einem „Oarger Name für ein Bier!“ nochmal kompetent abgeschlossen.

Immerhin tauchte dieses und auch die zweite Bestellung – die ebenfalls wiener Buchstabe für Buchstabe von der Karte abgeschrieben wurde – mit einem entsprechenden passenden Glas auf meinem Tisch auf. Dies ist ein exemplarischer Einzelfall, der mit passiert ist – er ist in seiner Art und Weise aber beliebig gegen die anderen vier anderen Erlebnisse austauschbar. In Nuancen anders – im Kern identisch.

Und genau an diesem Punkt begann mein Nachdenkprozess so richtig auf Hochtouren zu kommen. Toll, hier gibt es jetzt eine schöne Auswahl Craftbier zu bestellen, was aber, wenn es keiner tut – oder nur eins bestellt? Wie lange halten (MHD) die Flaschen, die der Wirt im Lager hat?

Hoer-auf-Dein-Bier
…oder einfach nur mal auf sein Bier hören.

Für mich eine Situation, die genau zu dieser Angst geführt hat. Mit großem Elan werden von den Händlern nun diese Biere in die Gastronomie gepusht, diese springt auf die offensichtlich vorhandene Welle und versucht damit zum Erfolg zu surfen. Leider wird dabei vergessen, dass die Art und Weise, wie man die Biere dem Gast anbietet, präsentiert und verkauft in ganz entscheidendem Maße vom Personal abhängig ist. Klar ist das Bier neu, aber wenn der neugierige Gast dann den Kellner einmal nach dem Bier fragt und dieser nicht einmal etwas dazu sagen kann – geschweige denn vielleicht einen Tipp z.B. zu dem bestellten Essen, geben kann -, dann verlieren Gast, Gastronom und in letzter Konsequenz vielleicht sogar die Händler den Spass an der Sache und so schnell wie sie gekommen sind, so schnell verschwindet dieses Angebot wieder von der Bildfläche.

Woran aber hängt es denn nun? Ist es wirklich so schwierig dem Personal einmal das eigene Angebot näher zu bringen? Das muss doch das Mindeste sein, das ich als Gast verlangen kann, dass das Personal die Karte kennt. Ist dem Gastronomen nun wirklich etwas daran gelegen, die Bierkompetenz aufzubauen, dann wird auch er nicht umhin kommen an dieser Stelle weiterzumachen. Ein halber Tag in Schulung investiert, einen Experten dazugeholt, der vielleicht die wichtigsten Bierstile erklärt, die Speisenpartner auf der Karte identifiziert. All das kostet wenig – hat aber eine große Wirkung. Wenn man es wirklich ernst meint!

In aufwändige Ausbildungsprogramme werden nur wenige Gastronomen investieren. Egal ob ein mehrtägiger Grundkurs oder gar ein Diplom Biersommelier – für eine studentische Kraft, die oft nur eine Verweildauer von wenigen Monaten im Lokal hat, ist das natürlich durch den Wirt wirtschaftlich nicht zu stemmen. Aber Beispiele wie das Charly P´s oder auch das Hawidere machen es in vor, wie es gehen kann – und dann geht es auch. Mit Freude habe ich davon erfahren, dass Bierpapst Conrad Seidl am Badeschiff (Craft Beer Cooking) offesichtlich genau so einen „Beer Crash Kurs“ gegeben haben soll. Genau das ist der richtige Weg.

Bei wem nun der Ball liegt, Gastronom, Brauer oder Händler mag ich nicht entscheiden wollen. Letztlich müssen sich aber alle Beteiligten darüber im Klaren sein, dass sie alle in der Nahrungskette voneinander abhängen. Insofern wären vermutlich gemeinsame Aktionen die wünschenswerte Lösung.

Ich möchte nämlich in zwei Jahren in jeder Gastwirtschaft wie selbstverständlich auch Craftbiere bestellen können. Dass das geht haben uns die USA bereits vorgemacht. Gehen wir also den Weg.

Ein schönes Wochenende wünsche ich
Euer Martin Voigt

Comment(5)

  1. Es freut mich, dass Du, lieber Martin Voigt ein Thema ansprichst, welches mich schon länger „wurmt“. Abgesehen davon, dass ich es schon als erfreulich finde, dass es Kollegen „wagen“ sich dem Thema Bierspezialitäten (dem Begriff „Craft“ kann ich nichts abgewinnen. Zu Neudeutsch) zu widmen (obwohl sie sehr oft selber nicht mit den Begriffen umzugehen wissen), weiß ich auch, wie schwierig es ist, Mitarbeiter zu schulden und am neuesten Stand zu halten (Nachmittags Verkaufsgespräche geübt – Abends selbe Fehler wieder gemacht). Nichts desto trotz wird Dies bei mir 2 Mal im Quartal durch mich persönlich und einmal im Jahr extern erledigt.
    Viel schlimmer finde ich es, wenn ich in österreichischer Gastronomie (und das ist mir alles im Laufe eines Jahres bei meinen Reisen passiert!) nachfrage, welches Bier den ausgeschenkt wird und ich als Antwort (obwohl das Gesamte Lokal die Werbematerialien der Brauerei aufweist) „Brauerei XY“ bekomme. Auf die weitere Nachfrage, das ich nicht die Marke, sondern die Art des Bieres (das Wort „Bierstil“ wage ich nicht einmal in den Mund zu nehmen) wissen möchte, kommt dann: das vom Fass! Wenn ich das zum Wein „übersetze“ würde die Kommunikation lauten: Welchen Wein haben Sie? Den von „Weinbauer XY“. Nein, ich meinte welche Sorte? Den aus der Flasche! (Übrigens, diese Antworten kannst Du auch von Chefs erhalten, wie soll es dann das Personal wissen?)
    Ganz zu schweigen über die Frage, welche Größe ausgeschenkt wird: „Möchten Sie ein Großes?“. Welche Größe ist gemeint? In Bayern wahrscheinlich eine Maß, in unseren Breiten ein halber Liter und in Bars meist ein Seiterl (0,3 l).
    Bei der Qualität der Auskunft möchte ich nicht wissen, wie es um die Qualität der Schankanlage und deren Reinigung bestellt ist.
    Zu guter Letzt (genug „gesudert!“) noch etwas, was mir in der gesamten „Bierszene“ auffällt:Die richtige Temperatur der Bierstile (ich weiß, jetzt sind wir schon sehr in der Tiefe!). Aber wenn ich bei der BKL oder auf anderen Festivals (und auch bei namhaften Kollegen der Szene!) ein holzfassgereiftes Bier mit annähernd Nullgrad serviert bekomme ist das, meines Erachtens, eine Thema Verfehlung.
    Zusammenfassend bin ich auch Deiner Meinung, dass sich viele hinreißen lassen, Bierspezialitäten ins Programm aufzunehmen, weil es „hip“ ist, aber leider keine Kompetenz dafür haben. Das beweist auch, das in der Liste der Ausbildungsreihe zu Diplom Biersommeliers kaum Gastronomen aufscheinen. Hier müsste der Hebel angesetzt werden. Darauf ein Bier!

    1. Danke Karl, für diesen Blick hinter die Kulissen eines Gastronomens. Und ich finde auch deinen Vergleich zum Wein spannend, weil wir hier sofort zucken, wenn die von dir genannten Antworten kommen würden – gelerntes Verhalten eben.
      Und wenn es selbst bei einem Lokal wie deinem, das sicher über die von mit gemachten Erfahrungen absolut erhaben ist, immer wieder ständiges Training braucht, um am Ball zu bleiben, wie schaut es dann bei den von mir gemeinten Lokalen aus….
      Und den von Dir angesprochenen Hebel sollte man recht bald ansetzen – oder eben warten, bis dieser Boom sich etwas wieder gelegt hat. Dann bleiben eben die Lokale übrig, die sich schon immer gekümmert haben.

  2. Die Blase bei Craftbieren sehe ich woanders:

    Und zwar darin, daß die weitaus überwiegende Zahl zwar interessant schmeckt, aber nicht so überzeugend rüberkommt daß der Kunde sich ein zweites Mal für eine probierte Sorte entscheidet.
    Von dern überzogenen Preisen abgesehen, die nicht aus dem Brauvorgang resultieren sondern an ineffizienten Anlagen zur Abfüllung etc. nicht zuletzt dem Versuch geschuldet sind die schnelle Mark zu machen.

    1. Hallo nach Kaufbeuren,
      danke für den Hinweis, der aber so meine ich nicht auf die von mir gemeinten Biere zutrifft. Natürlich spielt die Bierauswahl eine große Rolle und natürlich will und muss ich hier auch einen für „Erstprobierer“ spürbaren Unterschied haben. Und natürlich darf der nicht zu Lasten der Qualität gehen. Ich will das von dir angesprochene Thema sicher nicht wegreden, aber ist das nicht etwas, das a) der Gastronom merken sollte und b) der Markt noch viel schneller regelt. Wenn ich ein handgebrautes Bier habe, das weder in Punkto Geschmack noch Qualität überzeugen kann, dann sollte ich es schnell wieder von der Karte verschwinden lassen. Aber dein Beispiel zeigt mir wieder einmal, dass es kein Problem von „Einem“ in der Kette ist, sondern das „Alle“ ihren Teil dazu beitragen müssen.
      Nur der Vollständigkeit halber: In dem von mir geschilderten Beispiel waren es Biere aus den USA und UK, die sicher weder in Punkto Preis, Qualität oder Geschmack Probleme machen sollten. Ob man nun diese Geschmäcker will ist dann letztlich auch Geschmackssache – ich werde an Weihnachten mal versuchen meine Eltern an für die wilde Biere wie Gose heranzuführen – vielleicht muss ich die Flaschen dann alleine leer trinken.
      Cheers Martin

  3. Ich erinnere mich noch an meinen letzten Besuch in einem Craftbierladen.
    6 Flaschen für insgesamt über 34 € gekauft.
    Das einzige an was ich mich erinnern kann war für 5,50 € eine Flasche Ürige Doppel-Sticke, aber das gibts schon länger als die derzeitigen Craft-Biere und wirds wohl auch immer geben.
    Der Rest konnte geschmacklich nicht überzeugen, die Namen hab ich auch schon wieder vergessen.
    Ach ja, da war noch eine 7. Flasche: Schlenkerla Hell, kostete nur 1 € und war aus einem ganz normalen Getränkemarkt aber dafür ein echtes Meisterwerk.

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