Dose .vs. Flasche – Mein persönlicher Versuch einer Klärung
Ist es euch auch schon aufgefallen? Die Bierdose feiert eine gewisse Renaissance. Wenn nein, dann seid beruhigt, denn auch mir ist es eigentlich erst in den letzten Monaten so richtig bewusst geworden, dass immer mehr Bier wieder in Dosen erhältlich ist. So richtig die Augen aber hat mir eine Diskussion im Vorfeld des zweiten Craft Bier Fest Wien, bei dem ein österreichischer Craftbier Brauer mit einem Kollegen aus Großbritannien über genau dieses Thema unterhielt. Der Eine hatte schon eine Dosenabfüllung – der Andere überlegte gerade.
Dabei wird kaum ein Thema so kontrovers diskutiert wie Dose gegen Flasche. Wird die Dose von der einen Seite als proletoide und umweltschädigende Verpackung, die dazu noch das Bier geschmacklich verändere, komplett abgelehnt, so hält die andere Seite ebenso gute Argumente parat, die beispielsweise die Dichtheit gegenüber Sauerstoff und Licht ins Rennen führen und natürlich das Transportgewicht.
Die eigentliche Herausforderung in dieser Diskussion ist es, eine Abgrenzung zu finden, die einigermaßen seriös alle Punkte betrachtet, die in eben dieser mit einbezogen werden müssen. So kann es nämlich nicht nur dem Brauer darum gehen einen wirtschaftlichen Vorteil zu haben, der dann am Ende in einem globaler betrachteten System eine verheerende Ökobilanz aufweist.
Genau hier aber setzen aber Studien auf, die mehr oder weniger neutral das Thema in einem wissenschaftlichen Rahmen betrachten sollten. Ich habe mich in den letzten Wochen und Monaten mal auf die Suche gemacht und habe dabei viele Abhandlungen gelesen, die mehr oder weniger die Interessen der einen bzw. der anderen Seite beleuchteten. Besonders spannend ist hier ein Papier aus dem Jahre 2010 des deutschen „Institut für Energie- und Umweltforschung“ – kurz IFEU -, das sich genau diesem Thema angekommen hat. Die Studie kommt aber schlagartig in ein anderes Licht, wenn man erfährt, wer eigentlich der Auftraggeber dieser Studie ist: Der “BCME”, Beverage Can Makers Europe, als Branchenverband der Getränkedosenhersteller.
Nicht wirklich schwierig zu erraten, welche Getränkeverpackung sich hier vermeintlich als „Energie- und Umweltsieger“ küren darf: Die Dose. Aber nur auf den ersten Blick, denn wer eine Studie in Auftrag gibt, der darf auch gewisse Parameter bzw. Annahmen vorgeben, die dann im eigenen Ergebnispapier als ohne weitere Kommentierung als gegeben angesehen werden.
Leider ist man in dieser Studie sowohl was diese Parameter und Annahmen in der Vorgabe angeht als auch in der darauf folgenden Selbstbeweihräucherung im Ergebnis seitens der Industrie etwas zu laut gewesen. Zumindest so laut, dass das IFEU Institut um seinen an sich ganz guten Ruf besorgt war und eine „quasi Gegendarstellung“ zu dieser Studie veröffentlichte. Und schon sah die Welt etwas anders aus.
Die Studie und auch die „Gegendarstellung“, die das IFEU „Handreichung“ nennt, ist im Internet nachzulesen – die diversen Links sind unten angegeben. Was aber war eigentlich passiert? Verglichen wurden in dieser Studie Mehrweg- und Einwegglasflaschen, PET-Einwegflaschen, Aluminium- und Weißblechdosen. Eines der wesentlichen betrachteten Kriterien für das Umweltinstitut war das CO2-Äquivalent der einzelnen Verpackungen. Hierbei sind Herstellung, Transport und Recycling der jeweiligen Verpackungen berücksichtigt worden.
Bei den Mehrwegglasflaschen wurden Umlaufzyklen, also wie oft eine Mehrwegflasche verwendet wird, bevor sie dann auch im Altglas landet, von 1 (einmalige Verwendung), 5 und 10 angenommen. Bei 10 kam die Mehrwegflasche der Aluminiumdose vermutlich schon so nahe und hatte die Weißblechdose schon hinter sich gelassen, dass übliche Umlaufzahlen von 25 vorsorglich keine Erwähnung mehr im Jubelbericht des Auftraggebers, dem BCME, fanden. Macht man sich aber die Mühe in den mehrere hundert Seiten starken Originalbericht einzutauchen, so haben die IFEU-Wissenschaftler diesen Wert durchaus ermittelt. Und siehe da: Bei Aludose und Mehrwegglasverpackung mit realistischen 25 Umlaufen herrscht quasi ein Gleichstand. Nur der Vollständigkeit halber: Es gibt auch Stellen, die 30 bis hin zu 50 Umlaufzyklen im Durchschnitt als durchaus realistisch ansehen.
Gleichstand ist aber relativ, denn bei diesen Zahlen wurde für die Entfernung von Brauerei zum Konsumenten der Wert von 400 km angesetzt. Auch wenn die Studie ihren Ursprung in Deutschland hat – immer noch ein sehr hoher Wert, der – wen würde es wundern – die relativ gesehen schwerere Glasflasche im bewerteten CO2 Ranking natürlich benachteiligt.
Ein weiterer Punkt sind die energetischen Vorteile des Recyclings. Kaum jemandem muss man mehr erklären, dass die Gewinnung von Rohaluminium wie die Herstellung von Glas zwei der energieintensivsten Industrieprozesse sind. Auch wenn das bei Glas auch so ist, wirkt sich es bei Mehrwegnutzung eben deutlich geringer aus. Bei wissenschaftlichen Betrachtungen wird deshalb auch davon ausgegangen, dass in einer „neu“ hergestellten Verpackung der energetische Vorteil durch den Recyclinganteil zwischen Rohmaterial und Endprodukt zu gleichen Teilen aufgeteilt wird. Im Wissenschaftsdeutsch wird hier von “Allokation” gesprochen. Ein Verhältnis 50:50 scheint jedenfalls deutlich realistischer und weniger ergebnisorientiert als der in der Studie angewendete 100:0 Wert, der die energetischen Vorteile ausschließlich dem Endprodukt zuschlägt. Das sahen wohl auch die IFEU Forscher so und haben trotz der genannten Vorgabe in ihrer Studie die 50:50 Aufteilung mit dargestellt. Beim Branchenverband fehlt dieser Teil wiederum.
Es wird Euch kaum überraschen, dass Alu- und Weißblechdose so schlagartig in die Liga der Einwegflasche aufschließen. Um es etwas präziser auszudrücken: Die Aludose verdoppelt in etwa die Größe ihres CO2-Fußabdrucks, während der der Mehrwegflasche mit 25 Umläufen sich nur marginal nach oben verändert.
So, haben wir also nun Gründe gefunden die Dose endgültig zu verteufeln und das gute Gewissen ausschließlich bei der Mehrwegflasche zu haben. Auch hier drückt man sich in der Studie in bestem „Wissenschaftlerisch“ aus. Es „kommt eben darauf an“.
Eindeutig und unbestritten ist die Mehrwegflasche einer lokalen Brauerei in Sachen Ökobilanz kaum zu schlagen. Hier kommen die Vorteile beim Material durch mehrere Umlaufzyklen mit denen des geringen Transportaufwands zusammen. Auch die Forscher machen kein Geheimnis daraus, dass sich dies mit zunehmender Entfernung zwischen Brauerei und Konsument irgendwann einmal ausgleicht bzw. umkehrt. Klar, der Rücktransport von Mehrwegflaschen über mehrere hundert Kilometer macht sich irgendwann ökologisch einfach bemerkbar und irgendwann schlicht keinen Sinn mehr. So gibt es auch nach den IFEU Forschern eine Transportentfernung gibt, die man aber nicht ermittelt hat, ab der eine Aludose der Mehrwegflasche dann wieder überlegen ist. Wenn man die o.g. Werte mit 400 km und unter Berücksichtigung der realistischen Recyclingquote hernimmt, so dürften 500 bis 600 Kilometer hier nicht unrealistisch sein.
Der Branchenverband der Dosenhersteller hat sich also in seiner Aussendung keiner wirklich falschen Zahlen bedient – alle Zahlen seiner Veröffentlichung finden sich in der Studie wieder – nur hat er sich der Zahlen bedient, die seiner Position nach am „verträglichsten“ waren. Die Anderen einfach verschwiegen.
Für mich hat das Folgendes zum Ergebnis:
- Am ökologisch sinnvollsten sind immer noch Mehrwegflaschen lokaler Brauereien. (Als lokal wird im Sinne der Studie übrigens ein Radius von 100-130km um die Brauerei angesehen). Hier ist vermutlich wenig entgegenzusetzen und das Ergebnis entspricht hier eigentlich dem Hausverstand.
- Darüber hinaus gibt es keine klare Trennlinie zwischen Mehrweg und Einweg, da hier zu viele Faktoren Einfluss nehmen. Nachdem was ich aber der Studie entnommen habe ist eine Größenordnung von mindestens 400 km als Transportentfernung jedenfalls noch mit Mehrwegflaschen als ökologischer einzustufen. Hier überrascht mich die doch recht weite Transportentfernung, welche die Glasflasche prinzipiell benachteiligt, sie ökologisch aber dennoch bestehen kann.
- Für Brauereien in ihrem eigenen wirtschaftlichen System mögen auch die gesamtökologisch schlechteren Einwegverpackungen durchaus Sinn machen. Denn mit einem Mehrwegsystem ist angefangen bei einem größeren Maschinenpark auch das Thema Lager und Logistik ein nicht zu Vernachlässigendes. Hier können kleine Brauereien – insbesondere Craftbierhersteller – einfach nicht mit den „Großen“ mithalten. Einwegverpackungen aus heimischen Industriebrauereien sind ökologisch eigentlich nicht zu rechtfertigen.
- Importiertes Craftbier aus fernerem Ausland oder gar Übersee wird vermutlich in der Dose einen geringeren CO2-Fußabdruck haben. Wenn aber auch dort abgefüllt, dann ist das bei einer insgesamt eher verheerenden CO2-Bilanz durch den Transportweg fast auch schon egal. Das ökologische schlechte Gewissen bleibt hier einfach, egal bei welcher Verpackungsart.
- Vorteile der Dose in Bezug auf Lichtundurchlässigkeit und Sauerstoffdichtheit gegenüber der Flasche sind durchaus gegeben.
Für mich persönlich spielt psychologisch die Verpackung des Bieres inzwischen keine Rolle mehr. Technisch gesehen sind für mich Dosen auch nur „sehr kleine Fässer“. In den allermeisten Fällen kann ich mir aber – gerade bei Craftbieren – die Verpackungsart nicht auswählen. Aber ich habe für mich zumindest jetzt eine fundiertere Basis für das gute oder etwas schlechtere Gewissen. Es macht aber auch keinen Sinn die Dose generell zu verteufeln.
In jedem Fall aber richtig: Think global – Drink local!
Links:
[1] Vollständige IFEU Studie im Auftrag des BCME – Downloadseite
[2] Veröffentlichung des BCME – Downloadseite
[3] Handreichung des IFEU zur BCME Studie – Downloadseite
Titelfoto: Element “Dose”, Fotograf Whitesheep, Commons Wikimedia