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Reingehängt: Hatte das Reinheitsgebot jemals eine Chance als Weltkulturerbe anerkannt zu werden?

Reingehängt: Hatte das Reinheitsgebot jemals eine Chance als Weltkulturerbe anerkannt zu werden?

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Eher unregelmäßig möchte ich in dieser Rubrik ja für mich aktuelle Themen aufgreifen, die vielleicht emotional geführt werden, aber faktische Hintergründe bei den aufwallenden Emotionen nicht selten in den Hintergrund treten.

So sind Diskussionen über das „Reinheitsgebot“ an sich scheinbar nicht ohne eine große Portion dieser Emotionen zu führen. Dieses  scheint ein Problem der Bierszene schon seit mehreren Jahren zu sein. Selten sind sich Bierfreunde so uneinig, wenn es um das Schriftstück aus 1516 geht.

Reinheitsgebot 1516
Immaterielles Kulturerbe? Das Reinheitsgebot von 1516

Neue Nahrung erhält diese Debatte je näher das Jahr 2016 – und damit der 500.Jahrestag – eben dieses Reinheitsgebotes sich nähert. Immer kontroverser werden hier die Diskussionen geführt und, da man sich offensichtlich nur „dafür“ oder „dagegen“ entscheiden darf, so werden auch die Fronten immer verhärteter. Die Bestrebung das „Reinheitsgebot von 1516“ als Weltkulturerbe bei der UNESCO eintragen zu lassen, kann man da schon fast unter dem Titel „Öl ins Feuer gießen“ laufen lassen. Frei nach dem Motto: „Wenn ihr uns nicht glaubt, dann lassen wir das international feststellen!“ oder ein kräftiges in Bayern abgeschautes „Mia san mia!“.

Ich persönlich musste mir aber eingestehen, dass ich so gar keine Ahnung hatte, was ein “Weltkulturerbe” ausmacht – andersherum: „Was muss eigentlich erfüllt sein, um Weltkulturerbe zu werden?“. Also habe ich mich mal wieder auf die Suche gemacht und fleißig recherchiert. Recht schnell findet mal zwei Dinge: 1.) Listen bereits anerkannten Weltkulturerbes und 2.) die Kriterien, die erfüllt sein müssen, um eben in diese Liste aufgenommen zu werden. Aber sollten diese reichen, um das “Reinheitsgebot” zum Weltkulturerbe zu machen?

Logo UNESCO-ICH
Logo der UNESCO für immaterielles Kulturerbe

Also machte ich mich einfach einmal daran, diese Kriterien mit meinem – zugegebenermaßen eingeschränkten – Wissen um dieses Verfahren der Anerkennung einmal selbst in Bezug auf das Reinheitsgebot zu beantworten. Und schon landete ich bei der ersten festen Überraschung! Die Eintragung sollte gar nicht als “Weltkulturerbe” erfolgen sondern im Sinne des in Deutschland erst 2014 unterzeichneten “immateriellen Kulturerbes”. Etwas, das die UNESCO auch deutlich in ihren Veröffentlichungen unterscheidet. Warum – auch in den offiziellen Veröffentlichungen des Brauerbundes – immer von “Weltkulturerbe” die Rede ist und dann am Ende in verschachtelten Nebensätzen auf “immaterielles Kulturgut” umgeschwenkt wird ist mir Schleierhaft. Zumindest in Bezug auf die Kriterien ist hier dann nämlich doch ein gewaltiger Unterschied.

Ich habe mich dann doch mal an den Kriterienkatalog gemäß Art. 2 Abs. 1-2 und Art. 15 des UNESCO-Übereinkommens zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes vom 17. Oktober 2003 gemacht. Ich lade Euch ein, diese Fragen selbst zu beantworten, um der Sache etwas näher zu kommen, vielleicht teilt ihr ja auch meine Auffassung:

1. Unter immateriellem Kulturerbe sind Bräuche, Darstellungen, Ausdrucksformen, Wissen und Fertigkeiten, die Gemeinschaften, Gruppen und gegebenenfalls Einzelpersonen als Bestandteil ihres Kulturerbes ansehen, zu verstehen.
Das Reinheitsgebot geht hier aus meiner Sicht maximal als “Brauch” durch. Wesentliches “Wissen” oder “Fertigkeiten”, die bahnbrechenden oder erstmaligen Charakter haben, wird ja hier eher nicht vermittelt. Schwachpunkt aber aus meiner Sicht: Das Reinheitsgebot von 1516 ist dem Sinne nach nicht einmal das erste seiner Art. Schon über 100 Jahre früher gab es zum Beispiel ähnlich lautende Verordnungen im deutschsprachigen Raum. Aber wir wollen mal weitersehen…

2. Es wird in einem oder mehreren der folgenden Bereiche zum Ausdruck gebracht:
a) mündlich überlieferte Traditionen und Ausdrucksformen, einschließlich der Sprache als Trägerin des immateriellen Kulturerbes (z.B. traditionelle Gesänge, Sagen, Märchenerzählungen, Redensarten);
b) darstellende Künste (z.B. Musik, Tanz, Theaterformen);
c) gesellschaftliche Bräuche, Rituale und Feste (z.B. Umzüge, Prozessionen, Karneval, Spiele);
d) Wissen und Bräuche in Bezug auf die Natur und das Universum (z.B. traditionelle Heilverfahren, landwirtschaftliches Wissen);
e) traditionelle Handwerkstechniken.
Auch wenn jetzt viele a) als zutreffend weil “Märchenerzählungen” schreien werden. Es wird für mich schon schwierig hier einen derartigen Text wie das Reinheitsgebot einzuordnen. Das passt alles irgendwie nicht so richtig. Am ehesten vielleicht noch das landwirtschaftliche Wissen. Aber so richtig wasserdicht ist das noch nicht.

3. Immaterielles Kulturerbe zeichnet sich durch seine Praxis und Anwendung in der Vergangenheit, Gegenwart und der (nahen) Zukunft aus, es wird von einer Generation an die nächste weitergegeben.
Zumindest in diesem Punkt ist schwer etwas dagegen zu sagen. Hier würde ich sagen, dass es sich tatsächlich auf das Reinheitsgebot abbilden lassen könnte. Kommen wir der Sache also näher?

4. Es wird von Gemeinschaften und Gruppen in Auseinandersetzung mit ihrer Umgebung, in ihrer Interaktion mit der Natur und mit ihrer Geschichte fortwährend neu gestaltet.
Fangen wir mal von hinten an: “fortwährend neu gestaltet”? Im Leben doch nicht! Und eine echte Auseinandersetzung findet ja in Gruppen und Gemeinschaften nicht statt. Eher werden diese Konfrontationen auf sehr emotionaler Ebene geführt. Ich kann mich da noch gut an eine TV-Diskussion bei “The leading beers” in Amberg erinnern…

5. Immaterielles Kulturerbe vermittelt ein Gefühl von Identität und Kontinuität, wodurch die Achtung vor der kulturellen Vielfalt und der menschlichen Kreativität gefördert wird.
Na und spätestens jetzt wären dann doch die “Kreativitätsverfechter” gefragt. Das Reinheitsgebot als Achtung der kulturellen Vielfalt und menschlichen Kreativität. Wie bitte soll genau das denn mit der Verhinderung von historischen bzw. ausländischen Bierstilen in Deutschland als “Bier” in Einklang gebracht werden?

6. Es steht mit den bestehenden internationalen Menschenrechtsübereinkünften sowie mit dem Anspruch gegenseitiger Achtung von Gemeinschaften, Gruppen und Einzelpersonen sowie der nachhaltigen Entwicklung im Einklang.
Gut, Menschenrechtsverletzungen wollen wir dem Reinheitsgebot mal nicht unterstellen….

7. Eine möglichst weitreichende Beteiligung von Gemeinschaften, Gruppen und gegebenenfalls Einzelpersonen, die dieses Erbe schaffen, pflegen und weitergeben, muss gewährleistet werden und nachweisbar sein.
Gepflegt wird das Reinheitsgebot definitiv und das ist sicher auch nachweisbar. Und am festen Willen der Branchenverbände besteht kein Zweifel. Inhaltlich kommen wir am Ende auch durch diesen Punkt aber keinen Schritt näher zum “immateriellen Kulturerbe”.

Soll das wirklich reichen? Wohl doch eher nicht! Was soll ich sagen, mir persönlich fällt es echt schwer eine Argumentation zu finden, die frei von Marketinggedanken zu einem “Ja” kommt. Dennoch ist es natürlich schön in Deutschland ein historisches Gut zu haben, das sogar in den USA bekannt ist wie sicher kaum ein anderer internationaler juristischer Text. Aber es fehlen für mich einfach faktische Grundlagen hier ein UNESCO Immaterielles Kulturerbe zu skizzieren. Den eigentlichen Antrag, oder eine Argumentationsschrift, die den genannten Kriterien entlang argumentiert, habe ich nicht finden können. Schade eigentlich.

Am Ende ging es offensichtlich den betreffenden Kommissionen ebenfalls nicht anders, so dass der Antrag zurückgewiesen wurde.

Über die Sinnhaftigkeit des “Reinheitsgebotes” oder heute des „vorläufigen Biersteuergesetz“ wird diese Entscheidung sicher kein Ende setzen. Aber im Sinne der Biervielfalt für mich sicher eine richtige Entscheidung, denn so bleibt eben genau diese Diskussion am Leben. Und eine lebendige Diskussion führt nicht immer zu einer Einigung – nicht selten aber zu einer breiteren Auseinandersetzung mit der Thematik.

Ich freue mich drauf – Prost!
Martin